Dienstag, 10. Februar 2009

Erstes Medikament aus Ziegenmilch in den USA

Die US-amerikanische Arzneibehörde (FDA) hat gewissermaßen die Stalltür für eine neue Ära der Arzneimitteltherapie geöffnet. Eine Herde von 200 Ziegen soll künftig Medikamente herstellen, die Patienten mit angeborenem Antithrombinmangel vor tödlichen Thrombosen schützen soll. Weitere Produkte könnten folgen.

Die Europäische Zulassungsbehörde EMEA hat Atryn® zwar schon 2006 zugelassen, im letzten Jahr kam es auch in Deutschland auf den Markt. Der Umsatz ist jedoch bisher gering, was sich auch nach der US-Zulassung des Medikaments nicht ändern dürfte.

Denn eine Therapie mit Antithrombin alfa, dem Wirkstoff von Atryn, ist selten erforderlich. Zum einen ist der angeborene Antithrombinmangel nicht gerade häufig. Die FDA schätzt, dass bei einem von 5.000 Erwachsenen der Bildung des “Thrombin-Gegenspielers” aus genetischen Gründen herabgesetzt ist.

Dies bedingt eine gewisse Thromboseneigung. Der Pressemitteilung des Herstellers zufolge erleidet die Hälfte der Betroffenen vor dem 25. Lebensjahr eine Thrombose, bis zum 50. Lebensjahr sollen es sogar 85 Prozent sein.

Eine Therapie zur Prävention thromboembolischer Komplikationen wird (derzeit) jedoch nur in Hochrisikosituationen als indiziert angesehen. Das sind größere Operationen oder (nach der US-Zulassung) auch geburtshilfliche Eingriffe, wobei das Präparat für gewöhnlich mit Heparin kombiniert wird, was den Thromboseschutz verbessert.

Die Effektivität von Atryn wurde in einer relativ kleinen Studie an nur 31 Patienten mit angeborenem Antithrombinmangel untersucht, von denen 30 erfolgreich vor einer behandlungsbedürftigen Thrombose geschützt wurden – häufigste Nebenwirkung: Blutungen und Reaktionen an der Einstichstelle.

Die Besonderheit von Atryn ist die Tatsache, dass das rekombinante Protein nicht wie alle anderen gentechnischen Medikamente mithilfe von Bakterien oder Säugetierkulturen hergestellt wird, sondern aus der Milch von Ziegen gewonnen wird. Die Produktion erfolgt nicht in riesigen Tanks in einer sterilen Fabrik, sondern auf einer kleinen Farm im Massachusetts.

Die Forscher haben das Gen in befruchtete Eizellen eingebracht und diese dann von Leihmuttertieren austragen lassen. Seither ist es in allen Zellen der gentechnisch modifizierten Tiere vorhanden und später wird das Genprodukt mit der Milch ausgeschieden, in einer Menge von 10 Gramm pro Liter, wie es heißt. Ein Tier produziere in einem Jahr die gleiche Menge Antithrombin wie in 90.000 Blutkonserven enthalten sind.

Das sogennante Pharming bietet sich als eine kostengünstige Alternative zur derzeitigen Produktion an. Denn die Musterfarmen sind (im Prinzip) wesentlich kostengünstiger als die Fabriken. Steigt die Nachfrage an Medikamenten, kann die Produktion durch eine Vergrößerung der Herden jederzeit gesteigert werden (“Breed more if you need more”).

Da sich im Rahmen des Pharmings (im Prinzip) alle gentechnischen Medikamente herstellen lassen, wundert es, dass bisher nicht weitere Firmen ihr Interesse angekündigt haben. Beobachter erwarten, dass die Leitlinien, welche das Center for Veterinary Medicine der FDA im Januar 2009 festgelegt hat, hier einen gewissen Anreiz schaffen, da sie die Bedingungen festlegen.

Pharming, eine kleine Firma aus Leiden in den Niederlanden, will dem Vernehmen nach einen rekombinanten humanen C1-Inhibitor (zur Behandlung des hereditären Angioödems) mithilfe von Kaninchen herstellen. PharmAthene aus Annapolis in Maryland plant die Herstellung eines rekombinanten protektiven Antigens als Antidot nach Anthraxvergiftungen, der in Ziegen produziert werden soll. Auch diese Produkte würden nur eine kleine Indikationsnische bedienen.

Wesentlich größer wäre der Markt für die zahlreichen monoklonalen Antikörper, die in den letzten Jahren zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen und Krebsleiden auf den Markt kamen. Doch die großen Hersteller zeigen offenkundig wenig Interesse.

Ob ihnen dereinst Konkurrenz von Biosimilar-Anbietern erwachsen wird, die ihre Produkte durch Pharming kostengünstig auf den Markt bringen, lässt sich kaum vorhersagen. Zu bedenken ist jedenfalls, dass die hohen Kosten für die Entwicklung der Medikamente weniger auf die Biotechnologie als auf die klinische Entwicklung zurückzuführen sind.

Das Pharming könnte mit eigenen Risiken verbunden sein. Diese dürften weniger in der Gefahr liegen, dass einige Tiere in die Wildnis entkommen und die therapeutischen Gene sich in der Umwelt ausbreiten. Wesentlich unangenehmer könnte ein Szenario werden, wenn die Produktion von für den Menschen lebenswichtigen Medikamenten ausfällt, weil die Tiere wegen einer Erkrankung keine Milch mehr geben.


© rme/aerzteblatt.de / FDA

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